Distraneurin

Aufhören ja – aber wie?

Aufhören ja – aber wie?

(Foto: Daniel Reche, Pexel, lizenzfrei)

Wieder verging einige Zeit und ich schlich mich durch das Leben. Mir war nicht langweilig, außerdem war ich, wenn ich betrunken war keiner, der negativ auffiel. Ich wurde nicht aggressiv, eher melancholisch, ich spielte recht gut Gitarre (heute auch noch!) und habe/hatte eine gute Stimme zum Singen. Ich war sehr unauffällig. Das war das Gute daran. Das war das Schlechte daran. Denn, je weniger ein Alki in der Öffentlichkeit auffällt, desto später kommt auch die Einsicht (Krankheitseinsicht) mit dem Trinken aufzuhören. Ich hatte genug zu tun. Zum Beispiel mit der Beschaffung von meinen Konsumgütern. Täglich bis zu drei Liter Schnaps zu kaufen ist eine Herausforderung und bedarf einiges an Ideenreichtum. Ich war ja bekannt im Ort. Da kann man nicht 6 mal die Woche zum Laden gehen und soviel Schnaps kaufen. Das fällt auf. Was sollen denn die Leute denken? Also wurden die Läden gewechselt. Mal kaufte ich hier, mal dort und dann wieder ganz woanders. Irgendwann hatte ich ca 10 bis 12 Läden zusammen, die ich dann besuchte und mein Zeug kaufte. Ich Idiot. Von vielen Seiten kamen sie aber doch, die gut gemeinten Ratschläge: Mach doch mal Pause. Trink doch nicht schon morgens. Trink doch mal Apfelschorle. Schon wieder Alkohol? Es gab tausend Ansprachen und ich hörte -vermeintlich- nicht auf sie.
Da es sicherlich interessant ist zu wissen, was im Kopf eines Alkis abgeht:
Sehr wohl habe ich mir die Worte angehört, sie verinnerlicht, und beileibe, ich wollte aufhören! Ich wollte es so sehr, dass ich etwas tat, was ich heute NIEMANDEN raten würde, da es einfach zu gefährlich ist. (Wenn man durch die Sauferei nicht eh schon ziemlich gefährlich lebt…) Ich sperrte mich mit einer Kiste Wasser in meinem Zimmer ein und wollte kalt entziehen. Damals wusste ich nichts von den Risiken, ich wollte einfach mal wieder das Richtige tun und aufhören zu trinken. Ich stoppte von 2000 Prozent auf 0. Mein Fehler. Und fast mein Tod! Als ich es nicht mehr aushielt vor Schmerzen und Winden, Zittern und Kotzen trank ich wieder und es hörte auf.
Ich trank weiter, das wollte ich mir nicht antun. Mit Tränen im Gesicht und Tränen in der Seele setzte ich die Flasche an und trank bis ich wieder klar denken konnte.
Eines Tages hatte ich einen Fahrradunfall, ich fuhr unbedacht durch ein Schlagloch und fand mich mit einem Trümmerbruch in der Hand auf der Erde liegend wieder. So musste ich ins Krankenhaus. Die Ärzte bekamen nicht mit, dass ich unter Strom stand, ich funktionierte ja normal. Die OP war für den nächsten Tag angesetzt und ich sollte speisentechnisch nüchtern bleiben. Mein Problem war, dass man im Krankenhaus keinen Alkohol zu kaufen bekommt und ich merkte meine Entzugerscheinungen schon. Ich bekam Angst. Übelste Angst. Dann, nach ein paar Stunden schaltete mein Hirn auf Not-Aus. Kein Film und kein Ton kam mehr an. Ich lebte zwar, aber mein Hirn machte erstmal Pause. Was in der Zwischenzeit geschah weiß ich nur aus den Berichten der Ärzte, die mich trotzdem irgenwie operierten. Leider kann ich mich an ein paar lichte Momente erinnern, in denen ich Trugbilder wie sprechenden Bäumen, winkenden Laternen und allerlei buntes Zeug gesehen habe um dann bald wieder in den Sumpf und in das Glück der Bewußtlosigkeit zurückfallen konnte. Ich wachte auf und lag ziemlich streng fixiert auf der ITS und guckte dumm. Der Himmel sollte anders aussehen, dachte ich mir. Mir ging es gut. Das hing aber eher mit den Medikamenten zusammen, die man mir gegeben hatte, damit ich mit dem Randalieren aufhörte. Die Ärzte hatten die Pfleger/innen angewiesen, mir regelmäßig Bier zu geben, damit ich den Spiegel halten konnte. Jetzt mag man denken: Bier im Krankenhaus? Ja, die Ärzte dürfen niemanden ohne dessen Einwilligung entgiften, da es den Tatbestand der Körperverletzung erfüllen würde. Hätte ich auch nicht dran gedacht.
Ich sollte noch 10 Tage dort bleiben und morgens, mittags und abends brachte man mir die Hopfenkaltschale und achtete darauf, dass ich sie trank. Ein, zwei Tage später ging ich in den Krankenhausgarten um ein Zigarettchen zu rauchen, setzte mich auf eine Bank zu einem jungen Mann. Ich unterhielt mich mit ihm und er erzählte mir, dass er hier im Krankenhaus eine Entgiftung machen würde. Ich, in meinem dusseligen Kopf, dachte da an illegale Drogen wie Kokain oder Heroin. Nein, nein er machte einen Entzug vom Alkohol.
Das gab mir schwer zu denken. Und ich dachte lange nach. Um dann doch kurzentschlossen auf Station zu gehen und mich bei der Schwester zu erkundigen. So schnell wie die gute Frau gelaufen ist um einen Arzt zu holen, der mich beriet, so schnell war auch das Bier auf dem Nachttisch verschwunden und durch ein Pillenschälchen ersetzt worden. Das Zeug in den Pillen hieß Distraneurin, und verhindert das Gehirnhälftenschlackern während dem Entzug. Es beruhigt das Hirn , das Zittern, das Schwitzen, die innerliche Unruhe, die Todesangst….all das bleibt. Da hilft kein Bitten, Flehen, Beten da musste ich durch. Gott sei Dank kam schon am nächsten Tag ein sehr fähige Ärztin und schlug mir vor, mich in ein anderes Krankenhaus zu verlegen, noch am selben Tag. Erstmals hörte ich von einer “qualifizierten Entgiftung”, eine Suchtstation, die sich auf solche Idioten wie mich spezialisiert haben. Ein Bett war auch frei, so dass ich eine “LeckmichamArsch”-Pille bekam und mit einem Krankenwagen, unter steter Kontrolle der Vitalfunktionen, dann dorthin gefahren wurde. Ich sollte sehen –
ich war nicht alleine. Wir waren (und sind) viele.

In meinem nächsten Kapitel dieser, von Herzen geschriebenen, Reihe geht es um Entgiftung im psychischen und physischem Sinn mit ein paar Erklärungen dazu. Viel persönliches, aber auch ein wenig theoretisches. (keine Angst es wird kein wissenschaftlicher Vortrag!)

Lesen wir uns wieder?

freric

“Hoffnung ist, in die sterbende Erde Samenkörner zu stecken.”

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Posted by lovefeet1973 in ALK und wie man stirbt, 0 comments